Merkzeichen aG Schwerbehinderung - Rücknahme bestehender Bewilligungen zu befürchten!

Durch das Gesetz zur Stärkung und Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) sind die Voraussetzungen für die Erlangung des Merkzeichen aG für Schwerbehinderte verschärft worden. Auch diejenigen, denen bereits das „aG“ zuerkannt ist, müssen jetzt eine Aberkennung fürchten. Erste Fälle beim Versorgungsamt Rostock, treten hier in der Kanzlei bereits auf.

Zum 1. Januar 2017 ist dem § 146 SGB IX ein neuer dritter Absatz hinzugefügt worden, die bisherige Regelung im Straßenverkehrsgesetz entfällt. Zudem weicht die neue Regelung von Teil D 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ab, der Verwaltungsvorschrift, die bislang zu beachten war.

Die (alte) Regelung in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Teil D: 3. Außergewöhnliche Gehbehinderung (Merkzeichen aG)
Als schwer behinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden.
Aufgrund dessen, dass nunmehr der Regelungsgegenstand von einem Gesetz erfasst wird, wird die Vorschrift in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen wegfallen.

Der neue § 146 Abs. 3 SGB IX lautet:
(3) Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.
Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleichkommt.
Was ändert sich nun?
Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ ist künftig, dass ein Gesamt-GdB von 80 für eine „mobilitätsbezogene Behinderung“ vorliegt. Auf eine Prüfung der „Gehfähigkeit“ kommt es grundsätzlich nicht mehr an.
Es muss demnach künftig ein Gesamt-GdB von mindestens 80 vorliegen, der sich aus mobilitätsbezogenen Behinderungen zusammensetzt.
Im Gegensatz zur bisherigen Regelung wird dem Personenkreis, wie etwa die neidseitig Amputierten und Querschnittgelähmten, nicht mehr automatisch das Merkzeichen aG zuerkannt. Auch bei diesem Personenkreis wird künftig zu prüfen sein, ob eine entsprechende Beeinträchtigung der Gehfähigkeit vorliegt. Es steht zu vermuten, dass diese Regelung neugefasst wurde, weil die moderne Prothesentechnik zum Teil so gute Ergebnisse erzielt, dass nicht mehr stets eine „mobilitätsbezogene Behinderung“ vorliegt. Zum Vergleich herangezogen werden künftig Personen, die auch „für sehr kurze Entfernungen“ einen Rollstuhl benötigen.
Welche Auswirkungen sind zu erwarten? Droht der Entzug des Merkzeichen aG?
Die Gesetzesänderung macht sich nicht nur in neuen Verfahren bemerkbar, sondern auch in laufenden Antrags- und Gerichtsverfahren ist die neue Vorschrift von den Gerichten zu berücksichtigen. Zwar ist im Gesetz selbst keine Rückwirkung der Vorschrift auf noch laufenden Verfahren vorgesehen. Allerdings stellt die Gesetzesänderung eine „wesentliche Änderung“ der tatsächlichen Verhältnisse nach § 48 SGB X dar, so dass die Versorgungsämter bestehende Bewilligungen aufheben und zurücknehmen könnte. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Versorgungsämter unter Berufung auf diese „wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse“ auch bei bereits bestehende Bewilligungen des Merkzeichen „aG“ prüfen und das Merkzeichen entziehen, wenn angeblich die Voraussetzungen des § 146 Abs. 3 SGB IX nicht mehr vorliegen.

Fragen dazu? Fachanwältin für Sozialrecht in Rostock Frau Anja Martin berät Sie gern, kontaktieren Sie mich!



Eingestellt am 29.10.2019 von A. Martin
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